Meine Kindheit in Marchtrenk

Es war ein stürmischer Herbst, als meine Eltern mit meiner Schwester und mir, den Großeltern, Tante und Onkel im Oktober 1952 nach Marchtrenk kamen.
Im Februar desselben Jahres erwarben mein Vater und mein Onkel ein Grundstück in Bahnhofsnä­he. Aus der Überlegung der günstigen Lage von Marchtrenk im Zentralraum und daß die Bahn für das Auspendeln der Berufstätigen notwendig ist, wurde der hohe Anschaffungspreis im Vergleich zu weiter entfernt gelegenen Parzellen in Kauf genommen. An den Erwerb  eines Autos war zu die­ser Zeit nicht zu denken.
 
In großer Eile wurde in Niederperwend 30 (heute Bahnhofstraße 87 und 89) ein Nebengebäude mit drei Räumen errichtet, das am 17. Oktober 1952 von den drei Familien bezogen wurde. Diese neuen Wohnverhältnisse stellten einen Fortschritt dar, da man vorher jahrelang in noch beengteren Ver­hältnissen gelebt hatte.
 
Die Aufnahme der „Flüchtlingsfamilie“ in der politischen Gemeinde war wohlwollend, die durch die Bevölkerung korrekt und die durch die Pfarrgemeinde (Außenstelle der Pfarrgemeinde Wels)  geradezu herzlich.
 Einer unserer ersten Besucher war Pfarrer Leibfritz aus Wels. Ich erinnere mich noch gut, wie er vom Bahnhof kommend, singend über die Felder auf unser Häuschen zukam. Auch später ging er nie vorbei, ohne ein freundliches musikalisches „Grüß Gott“ und ein paar aufmunternde Worte im „Häuschen mit den 3 Türen und 3 Fenstern“ zu entbieten.
 
Uns Kinder ängstigten die Veränderungen in unserem Leben. Hatten wir doch gerade fünf Wochen zuvor unseren Schulanfang in Attnang-Puchheim gehabt. Meine Schwester in der 1. Klasse Volks­schule, ich in der 1. Klasse Hauptschule. Der Schulweg erschien uns weit - wenige Häuser standen damals entlang der Bahnhofstraße. Der Wind pfiff über die flache Heide und ließ uns durch herab­fallende Dachziegel erschrecken. Ein gefürchtetes Stück des Weges war „Sibirien“, das begann beim Haus des seinerzeitigen Bürgermeisters Scherney und endete beim Haus der Familie Maier. Dort waren im Winter oft Schneeverwehungen. Hatte man aber Glück, kam das Pferdefuhrwerk mit Schlitten der Familie Schuster aus Perwend und man durfte mitfahren.
 
Traurig waren wir auch, daß wir alle unsere Freundinnen und Schulkolleginnen zurücklassen muß­ten. Mir wurde damals sehr bewußt, wie entwurzelt ich war und wünschte mir, auch irgendwo dazu­zugehören. Dies gelang vorerst in der Schule, wo die Lehrer und auch die Schulkolleginnen die schüchterne (man glaubt es kaum!) und unauffällige Neue ganz selbstverständlich aufnahmen. Es war das erste Jahr, daß in Marchtrenk eine Hauptschule geführt wurde und bestand diese lediglich aus einer Mädchen- und einer Bubenklasse, die in einem Neubau mit der Aufschrift „Knabenvolks­schule“ untergebracht war. Ein überaus kompetentes, engagiertes Team, bestehend aus einem Di­rektor, einer Lehrerin und einem Lehrer unterrichteten uns im ersten Schuljahr. Sie vermittelten uns nicht nur Schulwissen – auch Lebenskunde und das Heranführen an Kunst und Kultur war ihnen ein Anliegen.
 
Schnell entwickelte sich entlang der Bahnhofstraße eine rege Bautätigkeit. Auf unserem Nachbar­grundstück baute eine kinderreiche Familie aus Südtirol ein Einfamilienhaus, andere Familien mit Kindern bezogen ihre provisorisch errichteten Nebengebäude oder  Häuser. Im Personalhaus der ÖBB lebten Familien mit Kindern und schnell entstanden neue Freundschaften.
 Die Bahnhofstaße diente uns Kindern als Austragungsort für Federballspiele, in den Rohbauten wurde Räu­ber und Gendarm gespielt und die Felder waren nach der Ernte ein großer Spielplatz. Nicht verges­sen werden dürfen die zahlreichen Schottergruben, die im Winter zu Rodelbergen wurden.
Eine schöne Kindeheit – im Rückblick gesehen!

Viele meiner Kinderfreundinnen sind wegen ihrer Berufsausbildung oder aus familiären Gründen aus Marchtrenk weggezogen. Ich aber habe Marchtrenk und die Marchtrenker schätzen und lieben gelernt, lebe sehr gerne hier und bin dankbar, heute dazuzugehören!

Elisabeth Kropsch